Seit 1999 gibt es in der Türkei eine sogenannte Erdbebensteuer. Häuser sollten mit den Milliarden erdbebensicher gemacht werden. Doch Präsident Erdogan scheint damit lieber seinen Haushalt aufbessern zu wollen. Die Erdbeben-Katastrophe könnte nun entscheiden, ob Erdogan den Präsidentenpalast verlassen muss.
Tausende Tote, noch mehr Verletzte, ganze Stadtviertel im Südosten der Türkei sind nur noch Schuttberge. Dennoch stehen die Türken zusammen, rufen eine einwöchige Staatstrauer aus – und vergessen für einen Moment, wie tief die politische Spaltung im Land ist.
Nun wirft die Opposition Versagen vor
Nun hat der türkische Oppositionsführer Präsident Recep Tayyip Erdogan nach dem schweren Erdbeben Versagen vorgeworfen. „Wenn jemand hauptverantwortlich für diesen Verlauf ist, dann ist es Erdogan“, sagte Kemal Kilicdaroglu, Chef der größten Oppositionspartei CHP, in einem Video, das er am frühen Mittwochmorgen auf Twitter teilte. Erdogan habe es versäumt, das Land in seiner 20-jährigen Regierungszeit auf solch ein Beben vorzubereiten, kritisierte Kilicdaroglu. Er warf Erdogan zudem vor, die Erdbebensteuer, die für die Vorsorge gedacht ist, verschwendet zu haben.
Erdogan will sich am 14. Mai erneut zum Staatspräsidenten des europäisch-asiatischen Riesenreiches wählen lassen. So zynisch es klingen mag: Die Erdbeben-Katastrophe könnte dem islamisch-konservativen Politiker sogar nützen. Erdogan, der starke Landesvater und Krisenmanager. Der Umgang mit der Katastrophe könnte sogar die Wahl entscheiden.
Seit 1999 sollen Gebäude mit der Erdbebensteuer sicher gemacht werden
Erdogan regiert das Land seit 2003, erst als Premierminister und seit 2014 als Präsident. Seit 1999 gibt es in der Türkei eine Steuer, die dem ewigen Präsidenten noch gefährlich werden könnte: die sogenannte Erdbebensteuer. Eingeführt nach dem heftigen Beben in Istanbul 1999, welches nach offiziellen Angaben 17.000 Menschenleben kostete, sollten mit der Abgabe Gebäude erdbebenfest gemacht werden.
Seitdem wird die 7,5-prozentige Extraabgabe auf Mobiltelefonate in der Türkei fällig. Der regime-kritische Journalist Bülent Mumay bezifferte die Einnahmen aus der Steuer für den türkischen Staat in einem „FAZ“-Gastbeitrag 2020 auf 31 Milliarden Euro. Nach einem Erdbeben 2020 im türkischen Elazig polterte Erdogan, nach dem Verbleib der Steuergelder gefragt: „Wir haben die Gelder eingesetzt, wo es nötig war! Wir haben auch keine Zeit mehr, über solche Dinge Rechenschaft abzulegen!“
Fast die Hälfte der Erdbebengelder wanderte in Erdogans Staatshaushalt
Ein beträchtlicher Teil soll einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ zufolge nicht für die Erdbebensicherung, sondern für andere politische Projekte der Erdogan-Agenda im Staatshaushalt genutzt worden sein. Die oppositionelle CHP rechnete vor, dass unter Erdogan fast die Hälfte der Einnahmen aus der Steuer in andere Zwecke floss. Mit den Geldern wäre es laut CHP möglich gewesen, Millionen Häuser erdbebensicher zu machen.
Journalist Mumay zufolge gingen mindestens weitere acht Millionen US-Dollar über eine Tarnadresse der Hilfsorganisation Roter Halbmond an die Erdogan-nahe Ensar Stiftung. Die Fragen aus der Opposition nach der Erdbebensteuer werden kommen, wenn sich die Trauer in der Türkei gelegt hat. Doch der Wahlkampf gegen Erdogan verläuft bisher schleppend.
Opposition noch immer ohne ernstzunehmenden Gegenkandidaten
Die Opposition musste ein Bündnis aus sechs Parteien schmieden, um gegen Erdogan überhaupt eine Chance zu haben. Der Oppositionelle Ekrem Imamoglu siegte bereits gegen die Präsidenten-Partei AKP in Istanbul. Aber dem aussichtsreichen Gegenkandidaten droht nun ein Gerichtsverfahren. Das türkische Innenministerium wirft ihm Korruption vor. Ob Imamoglu bei der Präsidentschaftswahl kandidieren darf, ist weiter ungewiss. Einen gemeinsamen Kandidaten konnte die Opposition noch immer nicht präsentieren.
Dennoch muss sich der türkische Präsident im Wahlkampf anstrengen. Die hohe Inflation, die Flüchtlinge aus Syrien, die schwache Wirtschaft – seine Gegner kennen diese Angriffspunkte. Mit der fehlgeleiteten Erdbebensteuer könnte noch ein weiterer Punkt hinzukommen.
Author: Jerry Hopkins
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